Lilli in Indien – allein unter Indern

Mary und Veeranna haben gemerkt wie langweilig mir in den zweieinhalb Wochen Ferien geworden ist und nehmen mich spontan mit nach Bengalore, zum Passport renewal. Von dort aus geht es für den weiblichen Part der Gruppe weiter zu Marys Familie nach Kerala.

Mädchen Bengalore

In die IT-Hauptstadt nehmen wir den Nachtbus, diesmal aber den indischen. Vorbei an Rucksacktouristen aus aller Welt, die müde auf ihren gefrierschrankklimatisierten, engen Bus warten und hinein in die indische Version. Ich bin restlos begeistert: viel Platz, rote Samtvorhänge um die Liegen und keine Insekten weit und breit!
Als wir nach acht Stunden Fahrt Morgens in Bengalore ankommen fühle ich mich trotzdem gerädert. Statt Schlaf gibt es Koffein und ein Tuk-Tuk zum Holy Cross Center im Osten der Stadt, Mary’s ehemaligem Ordenshaus. Nur Schwestern in apricot farbenen Saris weit und breit, ich bin die einzige ohne Kreuzkette…

Mit einer der hochreligiösen Frauen will Mary einen weiteren ehemaligen Arbeitsplatz besuchen: Das St. Marys Hospital in Malur. Ich bin Anhängsel und klettere gespannt mit in den Zug.
Der Trip gestaltet sich dann jedoch zu einer waren Odyssee, weil meine beiden Mitreisenden unter Gekicher und Geplapper in den falschen Zug gestiegen sind, Lilli hinterher. Von der, falschen, Yalahanka Station müssen wir mit Bus und Tuk-Tuk zurückpilgern und brauchen mehr als doppelt so lange für den Weg. Aber schön, ich seh so viel!

Auf dem Rückweg, diesmal im richtigen Zug, throne ich ganz oben auf der Gepäckablage und plaudere von da mit einer muslimischen Familie, die meine Schuhe toll finden. Im Laufe der Fahrt wird der Erzählkreis immer größer und als wir aussteigen winkt uns das ganze Abteil zu.

Auf nach Kerala

Unser Wohn- und Schlafplatz in Kerala ist historienverdächtig: Das Haus in dem Mary aufgewachsen ist, wo schon ihre Großeltern gelebt haben. Gut und gerne 100 Jahre hat das Gebäude auf dem Buckel.
Irgendwo im Nirgendwo, nahe dem Ort Neeloor, lebt jetzt Marys jüngster Bruder George mit Familie darin, seiner Frau Usha und den Kindern Justin und Jeslin.

Mary's birth place

Die Familie gefällt mir sofort! Obwohl Jeslin fünf Jahre jünger ist als ich beschlagnahmt sie die Neue direkt und schleppt mich, munter erzählend, durch Haus und Garten. Überall sind Gummibäume, es riecht nach Rauch und warmen Autoreifen, ein Hund bewacht bellend ein Tor. Justin zeigt mir das Geheimnis: Das Latex der Gummibäume wird geerntet es werden Gummiplatten daraus gemacht, die gewaschen und geräuchert werden müssen. Das wertvolle Gut wird von einem kleinen Kläffer scharf bewacht.

Das Einzige, das mir hier ganz und gar nicht gefällt ist das Schlafen. Überall im Haus krabbeln Käfer und Kakerlaken um die Wette und ständig werde ich aus den Ecken heraus von handtellergroßen Spinnen angestarrt. Jeslin lacht mich dann jedes Mal aus und erschlägt den Achtbeiner mit ihrem Schuh. Ich gewöhne mich an den Anblick.
In den ersten Nächten habe ich trotzdem Albträume von Insekteninvasionen und Killerspinnen, Käfer beißen mich in den Bauch.

Kerala ist wunderschön! Die Landschaft satt grün und hügelig, überall schmiegen sich Gummibaumplantagen an die Berghänge, ordentlich mit Zapfschüssel versehen.
Wir unternehmen einen langen Ausflug nach Munnar zu Marys Tante, die, inklusive Mann und Tochter, ein Hospital leitet. Am Liebsten würde ich ewig dort bleiben! Alle sprechen fließend Englisch, die Tochter Varsha ist so alt wie ich und ich kriege doch tatsächlich den ersten zuckerfreien Kaffee seit sechs Wochen zu trinken! Ich verspreche hoch und heilig wiederzukommen, Indianerehrenwort!

Auf dem Rückweg nach Neeloor besuchen wir sämtliche Geschwister und Verwandte in der Umgebung.

Ich bekomme so vieles zu sehen und zu erleben, meine Indien-Gedankenblase wird immer größer. Allein unter Indern – ich tauche ein.