Die Schattenseite

Seit der schrecklichen Vergewaltigung der jungen Inderin im letzten Jahr gilt Indien für viele als gefährliches Reiseziel, ganz besonders für junge, alleinreisende Frauen. Da genau das aber auf mich zutrifft gab es vor meiner Abreise viele nervöse Kommentare und ganze Listen mit to do and don’t do von allen Seiten. Davon zwar eher unbeeindruckt doch mit Geschichten über Vergewaltigungen, Säureanschlägen und sexueller Belästigung im Kopf bin ich in dieses Land eingereist und war erst mal hin und weg davon, dass sich diese Vorurteile nicht zu bestätigen schienen. Zwar wurde ich angequatscht und –gestarrt, aber schlimmeres war noch nicht einmal in Sichtweite. Meine Seifenblase fing an in bunten Farben zu schimmern, ohne einen einzigen wahren Schatten auf der Oberfläche.
Doch dann kam Mysore.

Mysore

Wer den diversen Reiseführern in ihren Ausführungen über Mysore glaubt, der wird schnell enttäuscht. Dem ahnungslosen Touristen wird eine facettenreiche, schillernde Stadt dargestellt, prunkvoll gekleidet durch einen gewaltigen Palast und farbenfrohe Märkte. Ja, Mysore ist schön, doch bei weitem kein so besonderer Ort wie angepriesen und für mich wohl dauerhaft mit einem Schatten belegt.

An meinem ersten Morgen dort treffe ich Maddie. Maddie ist eine kleine, rothaarige New Yorkerin, etwa in meinem Alter und auch alleine unterwegs. Zusammen machen wir uns auf den Weg zur Mysoreerkundung: pilgern auf den Stufen vom Chapmundi Hill, sehen uns den Wohnort der Königsfamilie an und besuchen den großen Obst- und Gemüsemarkt.
Da Mysore berühmt ist für Seide und Räucherstäbchen machen wir uns auf den Weg zum Muslim Market, der das Handwerk des Räucherstäbchenrollens zeigt. Gemeinsam laufen wir eine Straße entlang: von Geschäften gesäumt und voll mit Menschen. Auf einmal höre ich ein krachen, Maddie schreit auf! Hinter uns steht ein alter, bärtiger Mann mit einem zerbrochenen Stück Holz in der Hand, das er Maddie grade auf den Kopf geschlagen hat und fängt an sie zu würgen. Unsere Köpfe sind leer, wir schreien. Verzweifelt versuche ich den Mann von ihr zu trennen und da kriegen wir Hilfe. Eine Gruppe indischer Männer reißt den Täter von ihr fort, entwaffnet ihn. Maddie ist bleich, überall ist Blut, tropft von ihrem Kopf auf ihr T-Shirt. Die Wunde ist etwa zehn Zentimeter lang und klaffend! In Ermangelung medizinischer Utensilien spülen wir sie mit Wasser aus und drücken meinen Schal darauf um den Blutverlust zu stoppen. Einer unserer Retter, Malik, fährt uns in wahnsinniger Geschwindigkeit zum Krankenhaus, direkt in die Notaufnahme. Drei Schwestern und ein Arzt kümmern sich um Maddies Kopf, der mit sieben Stichen genäht werden muss, während mir, immer noch unter Schock, Fragen gestellt werden. Die Polizei wird eingeschaltet, wobei herauskommt, dass der Mann nicht nur verrückt ist, sondern sogar ein Wiederholungstäter, der jagt auf Touristinnen macht. Die Polizei bricht ihm die Beine… Oh Indien!

Maddie geht es zwar schnell besser, doch der Gedanke daran, was hätte passieren können bleibt. In dem Brett war ein langer Nagel, der sie zum Glück nicht getroffen hat, sonst hätte das Ergebnis schlimmer ausgesehen.

Es war ein Schock aufzuwachen und zu merken, dass doch nicht alles so bunt und fröhlich und sicher ist wie gedacht. Und egal wie ich das Land jetzt ansehe: der Gedanke an die reelle Gefahr für junge, alleinreisende Frauen bleibt.