Lilli in Indien – Hinduhochzeit

Ehen in Indien sind ein heikles Thema. Wer über 25 ist und unverheiratet steht am Rande der Gesellschaft, mit dem ist irgendetwas nicht in Ordnung! Die Ehe sichert den sozialen Stand; ob sie arrangiert ist oder nicht spielt dabei keine Rolle. Hochzeit kommt vor Liebe, Gesellschaft vor Individuum. Entsprechend häufig wird hier also geheiratet.

Meine vierte indische Hochzeit, innerhalb von drei Monaten, war dann aber etwas ganz besonderes: eine hinduistische Doppelhochzeit! Die Cousins Naveen und Chetan wurden am selben Tag vermählt, Naveen heiratete seine Zukünftige, Deepa, sogar aus Liebe! Es muss ein harter Kampf gewesen sein, denn Deepa ist Brahmanin, Naveen nicht. Bewundernswert, wie sehr sie für ihr Glück gekämpft haben.
Mary erzählt mir später, wie sehr sie sich dafür einsetzte die Beiden zu verheiraten. Ich bin stolz auf meine Papinayakanahallier.

Das unter Ganeshas Segen stehende Verlobungsfest fängt am Vorabend der Hochzeit an. Als ich in Dharwad ankomme ist das Haus des Bräutigams schon voll mit Gästen in Kleidern, so bunt wie der Regenbogen. Schillernde Saris, Henna Bemalungen und leuchtende Farben wohin man schaut. Auch mir wird als Begrüßungsritual erst einmal die Hand bemalt, Blumen ranken sich um meine Finger. Ich bekomme klimpernde, grüne Armreifen an die Handgelenke geschoben und die Nägel der linken Hand mit pinkem Nagellack angemalt (die rechte eat hand wird nie bepinselt). Dabei stellen sich die Inderinnen jedoch furchtbar ungeschickt an: hochkonzentriert patschen sie mir die grelle Farbe an die Finger, schaffen es aber nie wirklich die Nägel zu treffen… Es sieht aus, als hätten Barbie und Lillifee einen Todeskampf auf meiner Hand ausgetragen! – Meine Finger sind grellrosa.

Passend dazu beschließen meine Kosmetikerinnen, bestehend aus ein paar Frauen, eine davon meine geliebte Poornima, mich in einen dunkelroten Sari zu stecken. Mein erster Sari! Etwas ratlos stehe ich vor der langen Stoffbahn, wie kann denn aus einem sechs Meter langem Tuch ein so elegant aussehendes Kleidungsstück werden? Weil ich leider keine Ahnung von wie, wo und warum habe, und außerdem meine Hennahand noch trocknen muss, werde ich kurzerhand in die Mitte des Zimmers verfrachtet. In Unterwäsche und die Hand nach oben gereckt fühle ich mich wie eine freizügige, indische Version der Freiheitsstatue. Von allen Seiten kommen die Hände: die einen wickeln mich fachmännisch in das indische Festkleid, andere machen mir die Haare und die letzten reiben mir Gesicht und Hals mit dem von Indern geliebten Talcum Powder ein und kleben mir einen glitzernden Bindi auf die Stirn. Stolz auf das Ergebnis wird mir noch eine Perlenkette umgehängt, durch die ich mich fühle wie das Arzttöchterchen vom Dienst, und alle zücken ihre Handys um Fotos zu machen.
Die Europäerin im schicken Sari – ich bin die Attraktion!

Den Anfang der Festivität macht dann eine zweifache Prozession zum Tempel. Eine Truppe von Musikern, bestehend aus zwei Trommlern, Trompete und Klarinette, spielt dazu bollywoodreife Märsche in Dauerschleife. Gebetet wird auf hinduistische Art: laut, bunt, chaotisch und unfassbar sympatisch!
Die zwei jungen Bräute scheinen zu strahlen.

Die Function an sich startet natürlich wieder mit einem Gebet. Es wird gesungen, mit Reis geworfen und alle bekommen einen roten Punkt auf die Stirn gedrückt und einen herzförmigen Schlüsselanhänger mit den Namen der Paare: Naveen weds Deepa, Chetan weds Rashmi.
Dann wird die Farbe ausgepackt! Erst werden nur den Verlobten Gesicht und Arme mit Safforn gelb bestrichen, doch dann geht es auch unter den Gästen rum und eine wilde Schlacht beginnt. Gelbgesichtig suche ich einen Englischsprecher um nach dem Sinn der Malerei zu fragen. Safforn ist gut für die Haut und soll so zeigen, dass nach der Hochzeit alles besser wird, sogar das Aussehen… Naja, meine Überzeugung hält sich in Grenzen.
Trotzdem ist es lustig mit einem Haufen gelb bemalter Inder zu tanzen. Ein Mädchen zieht mich nach vorne und wir drehen uns zur Musik der zwei Trommler. Armreifen klappern, Saris wehen und alle sind guter Dinge. Immer wieder werde ich in den Kreis der Tanzenden gezogen und präsentiere meine mäßigen indischen Tanzkünste…

Tempelkerzen

Zum Schlafen sind wir zu spät! Die wenigen Zimmer im Obergeschoss sind alle belegt, also breiten wir uns eine Decke aus – mitten im Festsaal. Geträumt wird in voller Montur, die Tasche als Kissen. Ungewohnt aber nicht schlimm.
Als ich mich in mein Tuch kuschele denke ich wie verrückt das auf Deutschen Hochzeiten wäre. Hier ist es vollkommen normal! Ich mag die Inder.
Als wir am nächsten Morgen aufwachen ist es noch dunkel, ich schätze es auf 5 am, doch um uns herum herrscht schon geschäftiges Treiben: der Saal wird gefegt, die Bühne geschmückt, Stühle gerichtet. Müde dackel ich hinter den anderen her zur morgendlichen Snana (Kannada: Dusche), in eine, ziemlich öffentliche, Toilette. Es ist so dreckig, dass sogar ich schlucken muss, aber das Wasser ist warm.

Zur Hochzeit werde ich von meinen Sarifreundinnen wieder in das lange Stück Stoff gewickelt. Heute ist es leider nicht mehr so lustig, alle müssen sich ein bisschen beeilen. Das heißt: Schlange stehen zum Spiegel gucken. Ich fühle mich trotzdem sehr festlich. Doch als ich die Brautpaare sehe verschlägt es mir den Atem: wunderschön! Mit Blumen im schwarzen Haar und glänzenden Saris betreten die Frauen die Bühne, die Verlobten folgen in Hemd und Männerrock, ganz in weiß. Zusammen mit ihren Familien sitzen die vier nebeneinander und werden, unter lautem Gebetsgesang, wieder mit Safforn eingerieben. Eine leuchtend gelbe Gruppe, da kann die Ehe ja nur noch gut werden.
Die Gästeschar folgt nach draußen, wo die Gelblinge in ein seilumspanntes Carre gesetzt und mit alle ihren Kleidern, eimerweise abgeduscht werden. Ein Shampoo geht herum. Auf die beste Idee kommt dann aber Pinkie, Naveens Schwester: sie nimmt sich den Gartenschlauch und spielt Dusche. Die Fotografen stürmen nach vorne!
Als die Farbe halbwegs von den Körpern verschwunden ist geht es wieder zum Umziehen, nasse Saris bleiben auf dem Boden zurück.

Es folgt die zeremonielle Trauung. Wir beten, singen und werfen mit buntem Reis, die Paare gehen um zwei kleine Feuer. Zum Schluss werden die Ketten umgehängt, die in Indien den bei uns benutzten Hochzeitsring symbolisieren. Es ist eine gute Zeremonie, sehr indisch! Alles wirkt irgendwie unorganisiert und die Heiratenden werden von Kamerateams umstellt, dass sie kaum zu sehen sind. Trotzdem sind alle Gäste fröhlich, bedeutet es doch den Eintritt von vier Menschen in die Gesellschaft der Selbstständigkeit.

Die unvermeidliche Fotosession nach der Eheschließung dauert aufgrund der enormen Gästeanzahl ewig. Einige der Hochzeitsbesucher neben mir schlafen auf ihren Stühlen ein.

Nach alter Tradition werden unter den Frauen Saris verteilt. Auch ich bekomme einen: die hellblauen Blümchenvariante, mein erster eigener Sari! Jetzt muss ich wirklich das Einrollen lernen, bisher hatte ich ja erfahrenere Hilfe…
Endlich geht es auch für uns auf die Bühne. Bei den letzten, christlichen, Hochzeiten konnte ich mich immer am Rand der Gruppe verstecken, wollte nicht die unbekannte Europäerin auf den Fotos sein, aber keine Chance! Sofort werde ich von den Fotografen in die Mitte, zwischen die frischgebackenen Eheleute dirigiert, danach habe ich noch ein Einzelshooting mit ihnen… Alle Umstehenden zücken ihre Kameras. Mir kommt das ein wenig rassistisch vor, kennen sie doch nicht einmal meinen Namen aber für die Inder hier bin ich mit blonden Locken, heller Haut und Sommersprossen anscheinend wahnsinnig exotisch.
Die einzige Erklärung die ich dafür zu hören kriege: well, that’s India!