Von Tod, Rauch und Sadhus – Varanasi

Unzählige Stufen ziehen sich am Rand des riesigen Flusses entlang. An manchen Stellen steigt dunkler Rauch auf und vermischt sich mit dem Smog der Millionenstadt, an anderen werden farbenfrohe Saris gewaschen, orangegewandete Sadhus sammeln sich zum Gebet. Sobald es dunkel wird treiben mit Blumen geschmückte Kerzen den Strom hinab, unzählige schimmernde Lichter im Ganges, die allabendliche Punja (Segnung) erleuchtend.

Varanasi

Varanasi ist wohl unumstritten die mit Abstand heiligste Stadt der Hindus. An dieser Stelle macht der Ganges einen Knick nach Norden, wodurch die Gläubigen ihr morgendliches Waschritual mit dem Gesicht zur aufgehenden Sonne zelebrieren können. Ein Bad in einem der giftigsten Flüsse der Welt, in dem neben Schadstoffen und Müll auch Leichen schwimmen. Allein der Anteil an Kolibakterien ist 3000 mal so hoch wie das in Europa erlaubte Maximum.
Davon jedoch unbeeindruckt nutzen die Inder den Ganges als zentrales Element ihres Lebens. Egal ob Geburt, Hochzeit oder Tod – jede Feier findet ihren Segen am heiligen Wasser. Sogar zum Zähne putzen wird die Giftbrühe benutzt.Boote im Ganges

Das wohl unvergesslichste Erlebnis Varanasis sind jedoch die Leichenverbrennungen entlang der Ghats (Stufen). Jeder Hindu der eines natürlichen Todes erlegen ist, und sich die 400 kg Holz leisten kann, wird den Flammen preisgegeben und erlangt damit das größtmögliche Glück im Jenseits.
Umgeben von unbekannten Schaulustigen werden die toten Körper aufwendig mit Blumen, Tüchern und Räucherstäbchen geschmückt, in den Ganges getaucht und anschließen, eingewickelt in weiße Leichentücher, verbrannt. Gierig züngeln die Flammen um den Körper und fressen sich nach und nach durch Haut, Fleisch, Muskeln und Knochen, bis sich ein ganzes Menschenleben in Asche verwandelt hat. Asche über dem Ganges.

Saris auf den GhatsBis zu 60 Tote werden jeden Tag auf die flackernden Scheiterhäufen geworfen. Einer neben dem Anderen, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Was für uns einer bizarren Zurschaustellung gleicht ist hier die größte Ehre und ausschließlich den höheren Kasten erlaubt.
Doch trotzdem wird die Verbrennung nicht gefeiert. Nur eine handvoll Männer steht bereit, Totenarbeiter, die Feuer schürend.

Der indische Umgang mit Tod und Vergänglichkeit widerspricht all unseren westlichen Idealen. Zwar ist die allumgebende Leichtigkeit des Themas bewundernswert, doch das Desinteresse an der Verbrennung von Familienmitgliedern und Freunden beleuchtet einen anderen Aspekt: Wie lässt sich der Wert eines Lebens einschätzen, dessen Tod niemanden kümmert? – die Kontraste könnten kaum größer sein.